Es ist eine Binsenweisheit, dass wir alle sterben müssen. Die Frage, die sich jeder bange stellt, ist: Wann? Früher las man am Turm des Krematoriums, gleich unter der Uhr: ‚Eine davon ist deine‘. Gemeint war die Stunde. So gesehen ist der Friedhof ein Platz, der ungemein vereint. Irgendwann finden wir uns alle dort ein. Und doch wollen wir auch über den Tod hinaus unseren Status behalten und deshalb sind alle gesellschaftlichen Facetten auch auf dem Friedhof erkennbar. Während der eine ein schlichtes Holzkreuz wählt, möchten andere es größer und solider haben. Wenn schon der Mensch gegangen ist, dann soll doch zumindest die Grabstelle für immer bestehen bleiben.

Echtes Herrschaftsdenken vermute ich hinter den Motiven, sich ein Mausoleum bauen zu lassen. Immerhin ein komplettes Gebäude, mit Fenstern und Türen, wo die Toten in ihren Särgen der Vermoderung übergeben werden. Man vergräbt sie nicht, sondern stellt die Särge auf den Boden oder in dafür vorgesehene Nischen. Werden sie jemals wieder geöffnet? Ich weiß es nicht, kann es mir aber nur schwer vorstellen. Und, um meine bösen Vermutungen zu Ende zu bringen, frage ich auch gleich nach den schweren Eichentüren. Sollen sie die Toten schützen oder dienen sie der sicheren Einsperrung?

Übrigens leitet sich das Wort Mausoleum vom Grab des Maussolos in Halikarnassos ab. Es zählte zu den antiken sieben Weltwundern. Mal ehrlich, Sie hatten doch auch kurz überlegt, ob die graue Hausmaus damit etwas zu tun haben könnte.

Auf dem Ohlsdorfer Friedhof sollen noch sechzehn Mausoleen stehen; ich habe nur eine Handvoll entdeckt. Sie stehen alle im nordwestlichen Teil des Friedhofs, entlang des Westrings. Startet man an der Kapelle 7, dann kann man Totenhaus für Totenhaus besichtigen. Natürlich nur von außen, denn die Gebäude sind völlig marode und akut einsturzgefährdet. Das Öffnen der Tür könnte reichen, um das ganze Gebäude implodieren zu lassen.

Es waren einflussreiche, vermögende Hamburger Familien, die sich eigene Totenhäuser errichten ließen. Man bemühte dafür namhafte Architekten, wie den bekannten Martin Haller. Aber schon bald wurde der Wunsch gestoppt; ich glaube, es war Friedhofsgründer Cordes selbst, der den Bau untersagte. Es missfiel ihm, dass die Zweckgebäude immer größer wurden und sich so gar nicht in die offene Parklandschaft einfügen wollten. Von den Mausoleen, die ich gesehen habe, hatte ich den Eindruck, dass sie seit Jahrzehnten nicht mehr besucht wurden und niemand für Reparaturen zahlen will. Man sucht händeringend Förderer, aber das kann teuer werden. Ein Grund mehr, sie noch einmal zu fotografieren.

 

 

 

TIEFER GEGRABEN …

Als ich das Wappen über dem Eingang zum Schröder Mausoleum fotografierte, fiel mir sofort die Ähnlichkeit mit dem Wappen des Englischen Königshauses auf. Ich war oft in London und die Engländer zeigen gerne ihre Flagge. Am meisten natürlich den Union Jack, aber das royale Wappen findet man überall im Straßenbild. Und natürlich auch an den Toren des Buckingham Palastes. War es Zufall oder hat es einen tieferen Grund, dass Familie Schröder sich ein verwandtes Emblem gewählt hat? Weil ich ein bisschen Genealogie betreibe, war es einfach das Familienwappen zu finden.

 

 

Das Bild zeigt links das Wappen über dem Eingang des Mausoleums und rechts das Familienwappen Schröder. Die beiden haben nicht viel miteinander gemeinsam. Nur der Schild ist mit gleichen Symbolen geziert: Die drei Rosen über den drei Sternen. Die Spitze wird in beiden Fällen von einer Rose zwischen Stierhörnern gekrönt. Aber der markante Löwe und das Einhorn fehlen. Darunter das Motto: Vincet veritas – die Wahrheit siegt. Das nächste Bild zeigt das (aktuelle) englische Königswappen. Es hat große Ähnlichkeit mit dem Bronzerelief über dem Eingang des Mausoleums auf dem Ohlsdorfer Friedhof.

 

 

Und dann fiel langsam bei mir der Groschen. Der Bankier Johann Heinrich Schröder, der als Erster in diesem Mausoleum bestattet wurde, war unter seinen Hamburger Freunden als ‚John Henry‘ bekannt. Er hat viele Jahre die Londoner Niederlassung des Familienbetriebes geleitet und dabei ein Vermögen gemacht. Zurück in Deutschland gewann er schon bald die Aufmerksamkeit des preußischen Königs. Damals war es üblich, dass international handelnde Kaufleute auch als politische Diplomaten auftraten. Sie überbrachten Botschaften von Königshaus zu Königshaus und fädelten manchen wirtschaftspolitisch wichtigen Deal unauffällig ein. Und so kam es, dass John Henry schon bald nach seiner Rückkehr aus London auch häufiger in Wien weilte, um Kontakt zum Habsburger Kaiser aufzunehmen.

Üblicherweise bat man um eine Audienz, indem man seine Visitenkarte beim ‚Amtschef‘ abgab. Leider hatte das lange Zeit kein Erfolg, denn unter den vielen Anfragen, fiel ein ‚Johann Heinrich Schröder aus Hamburg‘ nicht besonders auf. So kam es, dass Kaiser Wilhelm I. ihm behilflich wurde, indem er Konsul Schröder in den erblichen preußischen Freiherrnstand erhob. Das machte sich auf der Visitenkarte schon deutlich besser. Ich kann es absolut verstehen, es war ein unverzichtbarer Türöffner.

Ganz anderer Meinung war aber die Schwester von John Henry. Der frisch gebackene Freiherr wurde von ihr ziemlich erbost empfangen. „Oh Gott John, wie konntest du nur? Wie soll ich das bloß meinen Freundinnen beibringen?“ So, oder ähnlich schimpfte sie, als er in ihrem Hamburger Salon eintraf. Man muss wissen, dass sich ein ehrenwerter Hamburger einem ehernen Grundsatz verpflichtet fühlt. Nämlich niemals eine Auszeichnung anzunehmen. Ebenso schlicht wie eindringlich heißt es: Ein Hamburger kann nicht erhöht werden. Noch heute gibt es verdiente Bürger, die aus diesem Grund das verliehene Bundesverdienstkreuz dankend ablehnen. Nun, wie Madame Schröder ihrem erlesenen Damenzirkel, der sich jeden Nachmittag bei ihr traf, die „Schande“ beibrachte, weiß ich nicht zu sagen. Aber Johann Heinrich Schröder machte dem Familiennamen alle Ehre in seiner Vaterstadt. Er rief millionenschwere mildtätige Stiftungen ins Leben, die wir noch heute unter seinem Namen kennen. Ich spreche natürlich vom Schröderstift am Bahnhof Schlump. Und da muss ich dann auch zurückrudern und meine Kritik an seinem Mausoleum zurückziehen. Wer ein märchenhaftes Vermögen in seinem Leben erwirtschaftet und dabei das Teilen nicht vergisst, der soll auch ein großes Grabmal haben. Übrigens wurde er fast einhundert Jahre alt!